Kinder stürzen die Könige

Mit der Inszenierung des Märchens "Vom Fischer und seine Frau" ist dem Moerser Schlosstheater ein grandioses Kinderstück gelungen – modern, frech und komisch. Über der Premiere lag ein Hauch von kindlicher Anarchie.

Peter und Sibylle haben es aus ihrem "Pisspott" geschafft: Der Butt, der ein verwunschener Prinz ist, hat sie zu mächtigen und reichen Leuten gemacht. Sie sind die Kanzler-Könige. Sie haben das Sagen. Peter hat längst seinen Angler-Anzug ausgezogen, Sibylle trägt ein schickes Kostüm. Sie halten blasierte Reden, führen wichtige Telefongespräche mit Ministern und schikanieren das Volk. "Stillgestanden, Setzen!", fordern sie. Und die Kinder im Publikum, die auf dem Boden sitzen, gehorchen. Patrick Dollas und Katja Stockhausen, die den Fischer und seine Frau darstellen, spitzen die Rollen weiter zu.

Am Ende sind es die Publikumskinder, die die Kanzler-Könige entmachten. "Wir sind das Volk", ruft irgendwo ein Kind. Und alle stürmen in einem dramatischen Moment die Bühne in der Theaterhalle am Solimare. Das hat was von Anarchie. Dass die kleinen Zuschauer so intensiv und begeistert mitgehen, überrascht: "Das war in den Proben schon so, aber es waren nie so viele Kinder", so Dramaturg Erpho Bell, der die Theaterfassung auf Grundlage des Märchens der Gebrüder Grimm geschrieben hatte.

Darin geht es um die Gier, das Immer-Mehr-Haben-Wollen. Bells Bearbeitung geht aber darüber hinaus. Sie thematisiert kindgerecht Wirtschaftskrise, Umwelt­katastrophen und den Verfall der Gesellschaft. Regisseur Julius Jensen legt es von Anfang an darauf an, dass die Jungen und Mädchen mitmachen: Sie spielen das Rauschen des Meeres, das Wogen der Wellen, die Möwen und die Algen. Christoph Rasche hat für das Stück eine grelles Bühnenbild geschaffen. Das Publikum sitzt in einer Arena mit Rückwand, sozusagen im Bauch des Butts. Vorne steht eine kleine Hütte, rechts ein Holztisch mit Kaffeekanne, links ein Fischerboot. In der mit Netzten eingefassten Bühne nimmt das Geschehen seinen Lauf. Das Fischer-Ehepaar lebt irgendwo am Meer. Sibylle ist unzufrieden mit Haus, Einrichtung und ihrem Ehemann: "Ich habe gedacht, das Leben ist ein Abenteuer." Als der Fischer dem verwunschenen Butt das Leben schenkt, sieht sie ihre Chance auf ein besseres Leben gekommen: Sie schickt den Fischer mit ihren Wünschen zum Butt: ein neues Haus, zwei Autos, eine ganze Fernsehwand und Geld. Jeder erfüllte Wunsch steigert die Gier der beiden. Sie wollen immer mehr.

Die Schauspieler Patrick Dollas und Katja Stockhausen sind unglaublich präsent und voller Spielfreude. Der Fischer und seine Frau wirken wie grell überzeichnete Komikfiguren. Vor allem Dollas erinnert als Fischer zuweilen an den Seemann Pop-Eye. Sie sind im Spiel mit den Kindern fast immer Herren der Lage. Das Publikum erlebte eine temporeiche Inszenierung, die nur einen kleinen Haken hatte: Nach dem turbulenten Bühnen-Sturm der Kinder ging das nachdenkliche Ende mit seiner wichtiger Botschaft in der allgemeinen Unruhe unter: Fischer und Frau begreifen, dass sie nur sich zum Glücklichsein brauchen.

Anja Katzke, Rheinische Post, 30. Oktober 2009

Aufstand in Buttland

Geld und Macht machen nicht glücklich und deshalb lassen sich aufrechte Buttianer schon gar nicht mit Kuscheltieren ködern: „Wir sind das Volk” krähte es gestern bei der fulminanten Premiere des Schloss­theater­märchens zur Wirtschaftskrise „Vom Fischer und seiner Frau” doch tatsächlich aus dem jungen Publikum. Das nutzte die Chance zur Revolution gegen das zu Kanzlerkönig und -königin mutierte Fischerehepaar ausgiebig, belohnte dafür aber die mit Kraft und Witz agierenden Katja Stockhausen (Sibylle) und Patrick Dollas (Peter) am Ende mit reichlich Zugaberufen.

Mitgehangen, mitgefangen: Bühne und Zuschauerraum in der Theaterhalle sind wie eine Arena (Bühne: Christoph Rasche) aufgebaut, zusammengehalten von einem riesigen Butt und einem Fischernetz. So spielen die Zuschauer von Anfang an mit. Sie sind das Meer, auf das Fischer Peter hinausfährt und dem verzauberten Butt begegnet. Es kommt, wie es tagtäglich und allerorten so kommt: Pisspott – nein Danke, Sibylle will mehr vom Leben, „ein bisschen Luxus ist erlaubt”: Haus, Garage, Flauscheteppich, Cabrio, Fernsehwand und Swimmingpool schafft der Butt herbei. Wie aber diesen Luxus vom Fischergehalt finanzieren?

Peter fährt wieder auf's Zuschauermeer hinaus. Ganz so freundlich schaut er nicht mehr drein. Das Meer allerdings auch nicht. Schmutzig ist es geworden – egal. Fischer Peter kann mit den 500 Millionen vom Butt die Fische demnächst woanders auf der Welt einkaufen. Aber Geld allein macht nicht glücklich – Kanzlerkönig aller Buttanier, das wär doch was.

Merkel und Westerwelle? Sibylle und Peter steigen wie Popidole auf das Dach ihres Pisspotts, liefern eine souveräne Bühnenshow, verteilen Fähnchen und Geschenke, um vom Volk geliebt zu werden. „Wir sind Meister im 100jährigen Tiefschlaf, im Tischlein-Deck-Dich”, wirbt Sibylle mit Wortwitz für das Vakuum ins Mikro: „Ihr seid eure Zukunft!” Allein – Buttland ist nach 100 Tagen pleite, das Volk ist sauer. Vorbei mit säuselnden Zuschauerwellen, es regnet Protest in Form von Plüschtieren. Der Butt lässt sich nicht mehr blicken, das Meer kocht über.

Die Erkenntnis, dass Glück etwas anderes als Geld und Macht sein muss steht am Ende dieses fesselnden Kinderstückes, an dem auch Erwachsene reichlich Spaß haben. Slapstick und Tanzeinlagen, ein fantastisches Bühnenbild und zwei Schauspieler, denen die Interaktion mit dem Publikum manches Mal eine Menge abverlangte – „Vom Fischer und seiner Frau” ist intelligentes Theater mit hohem Spaßfaktor. Auch weil Autor Erpho Bell und Regisseur Julius Jensen dabei auf Zeigefinger und Patentlösungen verzichten.

Gabi Gies, NRZ, 30. Oktober 2009